Jürgen Steinkopff | 1928-1979

geb. 13. August 1928 in Dresden, gestorben 4. April 1979 in Darmstadt

Gestalttheorie im Steinkopff-Verlag

Der Verlag von Theodor Steinkopff mit Sitz in Dresden und Leipzig ging im Jahr 1941 ein Wagnis ein: er verlegte Wolfgang Metzgers Werk „Psychologie – die Entwicklung ihrer Grundannahmen seit der Einführung des Experiments“. Ein Wagnis war dies, da Namen wie Max Wertheimer, Kurt Lewin, Kurt Goldstein oder Adhémar Gelb in diesem Werk nicht hätten vorkommen dürfen. Wolfgang Metzger, damals noch geschäftsführender Direktor des psychologischen Instituts der Universität Frankfurt, entschloss sich daher, auf Literatur- und Quellenhinweise vollkommen zu verzichten. Er rationalisierte dieses unübliche Verfahren mit einem altgriechischen Zitat aus Platons Phaidon-Dialog: „Es darf uns hier nicht um Personen, sondern nur um die Wahrheit gehen“ (91b-c, frei übersetzt von Kurt Guss).

In der zweiten Auflage seiner Psychologie, die 1954 im Verlag von Dr. Dietrich Steinkopff erschien, konnte Metzger endlich den Dank an Max Wertheimer und all die anderen Gestalttheoretiker der ersten Generation aussprechen und das umfangreiche Schriftenverzeichnis nachliefern.

Ebenfalls im Dr. Dietrich Steinkopff Verlag erschienen die dritte (1963) und die vierte (1968) Auflage seiner Psychologie. Für die 5. Auflage erhielt 1975 der Springer Verlag Berlin die Lizenz und um die 6. unveränderte Auflage von 2001 hat sich der Wiener Verlag Wolfgang Krammer verdient gemacht.

Diese kurze Geschichte der Psychologie Wolfgang Metzgers lehrt: dass gestalttheoretisches Denken und Forschen in Deutschland heimisch werden und bleiben konnte, verdanken wir dem Wagemut und dem Weitblick des Verlagshauses Steinkopff. Jürgen Steinkopff, der Enkel von Theodor Steinkopff und der Sohn von Dr. Dietrich Steinkopff, setzte diese Tradition fort und engagierte sich für die drei Editionen von Kurt Guss „Gestalttheorie und Erziehung“ (1975), „Gestalttheorie und Fachdidaktik“ (1977) und „Gestalttheorie und Sozialarbeit“ (1979). Die vierte Publikation im roten Gewand der Steinkopff-UTB-Bände war Hans-Jürgen Walters „Gestalttheorie und Psychotherapie“ (1977). Verantwortlich für die UTB-Reihe zeichnete Kurt Guss.

Die „Praxis der Sozialpsychologie“ gab Georg Rudinger heraus, der Metzger-Schüler Michael Stadler betreute die Reihe „Psychologie und Gesellschaft“ und Suitbert Ertel, ebenfalls ein Metzger-Schüler, war Ansprechpartner für die Steinkopff-Reihe „Wissenschaftliche Forschungsberichte“. Dann gab es noch die ansprechenden Steinkopff-Taschenbücher mit Titeln wie „Wer will schon gern neurotisch sein?“ (Paul Rom, 1978) und „Vom Vorurteil zu Toleranz“ (Wolfgang Metzger, 1976).

Und dann gab es natürlich noch die Festschrift zum 75sten Geburtstag von Wolfgang Metzger, die der Steinkopff-Verlag 1975 mit gewohntem Engagement (und dem beeindruckenden Metzger-Foto von Klaus Franck) verlegt hat. Wir lesen in ihr Beiträge der Herausgeber Suitbert Ertel, Lilly Kemmler und Michael Stadler sowie von anderen namhaften Freunden der Gestalttheorie: Yoshiharu Akishige, Flores d’Arcais, Rudolf Arnheim, Theodor Bartmann, Renzo Canestrari, Willi Ferdinand, Paul Fraisse, Guiseppe Galli, Norbert Groeben, Heinz Heckhausen, Harry Helson, Gaetano Kanizsa, Friedhart Klix, Abraham S. Luchins, Richard Meili, Fabio Metelli, Karl H. Pribram, Manfred Sader, Dietmar Schulte, Lothar Spillmann, Giancarlo Trombini und Wilhelm Witte. Wenn auch nicht alle Freunde und Gratulanten zur Geburtstagsfeier erscheinen konnten, die Vielfalt der behandelten Themen und die illustre Gesellschaft der Autoren spiegeln die Disziplinen übergreifende und internationale Bedeutung der Gestalttheorie.

Jürgen Steinkopff und die Gründung der GTA

Jürgen Steinkopff hat unsere Satzung entworfen, sie von seinen Hausjuristen prüfen lassen und die Eintragung ins Vereinsregister des Amtsgerichts besorgt. Er hat die Geschäftsstelle der GTA in seinem Verlag eingerichtet, ihr die Einrichtungen und Dienste seines Hauses zur Verfügung gestellt und für die GTA „Zielsetzung“, „Aims and Purposes“, das Tagungsprogramm und Briefpapier drucken lassen. Jürgen Steinkopff hat das ursprüngliche Logo der GTA entworfen und das erste Layout unserer Zeitschrift "Gestalt Theory" gestaltet; auch heute erkennt man in ihnen die Handschrift Jürgen Steinkopffs.

Kurz gesagt: Jürgen Steinkopff hat für die GTA geschaffen, was man eine vorzügliche Infrastruktur nennen könnte, und war ein ungewöhnlich großzügiger und kreativer Verleger der Bücher und der Zeitschrift der GTA. Er durfte gottlob noch erleben, dass japanische Verlage sich für die Lizenzen von „Gestalttheorie und Erziehung“ interessierten. Der plötzliche Tod Jürgen Steinkopffs war mehr als ein „herber Verlust“, er war im Grunde das Ende der blutjungen „Gesellschaft für Gestalttheorie und ihre Anwendungen e.V.“ Dass die GTA dennoch überlebt hat, ist mehr als beachtlich.

Publikationen (Auswahl)

  • Ergänzung zu Adalbert Brauers Beitrag "Leipzig, die Stadt der großen Verlegerdynastien".Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 1973, Bd. 29, S. 80–81. (Zeitschriftenbeitrag.)
  • Ein Buch über den Tod verlegen ... In: Hans Helmut Jansen (Hg.), Der Tod in Dichtung, Philosophie und Kunst, Dr. Dietrich Steinkopff Verlag, Darmstadt 1978, S. 252–254. (Buchbeitrag.)
  • Semantische Betrachtungen zum Begriff „Gestalt“. Gestalt Theory, 1979, Bd. 1, H. 1, S. 9–18. (Zeitschriftenbeitrag, geplanter Tagungsvortrag von Jürgen Steinkopff, für den Druck vorbereitet von Kurt Guss, verlesen am 27.04.1979 von August Dahl.)
  • Ehrenmitgliedschaft von Manès Sperber. Society for Gestalt Psychology and its Applications. Deutsche Nationalbibliothek, EB Autograph 0591c, 28.02.1979. (Autographenhinterlegung.)
  • Jürgen Steinkopff. Gestalt Theory, 1979, Bd. 1, H. 1, S. 6. (Nachruf auf Jürgen Steinkopff von Kurt Guss.)
  • Zum Tod von Jürgen Steinkopff. Versuch, mit einer Hiobsbotschaft gestalttheoretisch umzugehen. Gestalt Theory, 1979, Bd. 1, H. 1, S. 7–8. (Nachbesinnung von Hans-Jürgen Walter.)
  • In memoriam Jürgen Steinkopff: Förderung des interdisziplinären Gesprächs. Engagierter Verleger und Stadtrat in Darmstadt. Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 1979, Bd. 35, S. 763. (Nachruf von Wulf D. von Lucius.)

Kurt Guss erinnert sich an Jürgen Steinkopff:

Bei meinem ersten Besuch in seinem Verlagshaus in Darmstadt war meine Frau dabei und wir wurden beide sehr herzlich in Empfang genommen. Ich sehe noch den freundlichen Verleger an seinem Schreibtisch vor einer ehrfurchtsgebietenden Bücherwand sitzen. Wir durften uns in sein Gästebuch eintragen und nach einem höchst erfreulichen Gespräch über unsere gemeinsamen Vorhaben lud er uns zum Mittagessen ein. An diese erste Begegnung mit Jürgen Steinkopff erinnert mich ein Büchlein, welches er verlegt und uns damals mit einer kleinen Widmung überreicht hat: „Wer will schon gern neurotisch sein?“ von dem Adler-Schüler Paul Rom.

Diesem ersten Treffen folgten noch viele Telefonate und Meetings, in denen unsere Zusammenarbeit vertieft wurde und die der Gesellschaftsgründung und der Herausgabe unserer Zeitschrift dienten. Jürgen Steinkopff war bei unseren Treffen stets ein charmanter und großzügiger Gastgeber.

Der Tod meiner lieben Mutter ist für mich ein Schicksalsschlag gewesen, den ich bis heute nicht überwunden habe. Von allen Beileidsbekundungen hat mich die von Jürgen Steinkopff am meisten gestärkt und zum Weiterleben ermutigt. Jürgen Steinkopff ist ein Mensch gewesen, dem man sich ewig verbunden fühlt. Bei seiner Beerdigung streichelte eine Sekretärin liebevoll über seinen Sarg. Mit dieser Geste drückte sie aus, was wir alle empfanden und mir steigen auch heute die Tränen in die Augen, wenn ich daran zurückdenke.

Nach Jürgen Steinkopffs Tod mussten viele unserer Vorhaben begraben werden, denn die Rechtsnachfolger seines Verlages waren keine derart engagierten Freunde und Förderer der Gestalttheorie. Würde ich aber heute gefragt, wer der eigentliche Gründer und Promotor der „Gesellschaft für Gestalttheorie und ihre Anwendungen e.V.“ und ihrer Zeitschrift „Gestalt Theory“ ist, ich würde nicht zögern zu antworten: der Darmstädter Verleger Jürgen Steinkopff. Nach einer kurzen Pause würde ich vielleicht hinzufügen: daher sollte man auch über einen „Jürgen-Steinkopff-Preis“ nachdenken, den die GTA für verlegerische oder publizistische Verdienste um die Gestalttheorie verleiht.