Gerhard Benetka
VORWORT
zum Buch
Wir sehen und hören und machen überhaupt unsere Erfahrungen in Abhängigkeit von den Sprachgewohnheiten unserer Gemeinschaft, die uns gewisse Interpretationen vorweg nahe legen [ Edward Sapir in Whorf (1963, S. 74)].
Mit Schillers Wort von der „gebildeten Sprache", „die für dich dichtet und denkt" — ist damit wirklich nur gemeint, dass es nicht allzu schwer ist, sich in „einer hochkultivierten Sprache das Air eines Dichters und Denkers zu geben"? [Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache, die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon ein Dichter zu sein?] Der Romanist Viktor Klemperer, der als entlassener jüdischer Hochschulprofessor den fortschreitenden Exzess der nationalsozialistischen Verfolgung in Deutschland überlebte, notierte in seinem den Sprachverfall in der NS-Zeit analysierenden Buch über die Lingua Tertii Imperii zu Schillers Distichon: „Aber Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewusster ich mich ihr überlasse. Und wenn nun die gebildete Sprache aus giftigen Elementen gebildet oder zur Trägerin von Giftstoffen gemacht worden ist? Worte können sein wie einzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung noch da." (Klemperer, 1957, S. 21).
Wie also das gesprochene und das geschriebene Wort das Denken zu vergiften vermag - das will Klemperer am Beispiel der Sprache des Dritten Reiches zeigen. Es ist wichtig zu sehen, dass eine solche Analyse letztlich an den Grundfragen der klassischen Rhetorik anknüpft: Worum geht es schließlich in der Propaganda? Darum, die Meinung anderer zu beeinflussen. Klassisch formuliert: Wie kann man andere in öffentlicher Rede von seinem eigenen Standpunkt überzeugen? Moderner: wie ihr Denken manipulieren? Es ist eben dieser Kontext der klassischen Redekunst, in dem die Metapher als ein Tropus, als ein sprachliches Ausdrucksmittel der „uneigentlichen Rede" eingehend erörtert wurde: als die Übertragung eines Wortes in eine uneigentliche Bedeutung. Wie Buchholz (1996, S. 31) schreibt, war der Begriff seit damals, schon mit seiner Behandlung bei Aristoteles, negativ konnotiert: als ungenaue Rede, als unklare Form des Denkens.
Mittlerweile ist diese abwertende Auffassung gründlich revidiert worden. Zum einen durch die Einsicht, dass unsere Alltagssprache von Metaphern durchsetzt ist; zum anderen aber gerade auch durch Hinweis auf die tragende Rolle, die Metaphern in der Sprache, aber nicht nur in der Sprache, sondern eben auch im Denken der Wissenschaft spielen. So hat etwa der holländische Psychologe Douwee Draaisma in seinem Buch Die Metaphernmaschine gezeigt, dass sich die historische Abfolge von Gedächtnistheorien — nicht ausschließlich, aber vor allem — recht zwanglos aus der Aufeinanderfolge zeitgenössischer technischer Erfindungen herleiten lässt: Die Geschichte des Gedächtnisses erinnere letztlich, so Draaisma (1999, S. 11), an „einen Rundgang durch die Magazine eines technischen Museums."
Im Kontext der Wissenschaftstheorie wird vor allem die heuristische Funktion von Metaphern betont: Metaphern erlauben nicht nur, Abstraktes anschaulich und daher leichter verständlich zu machen; sie fungieren auch als eine Art „Filter" - eine Meta-Metapher! – der bestimmte Aspekte an Gegenständen, Abläufen etc. gegenüber anderen - auf Kosten anderer! - deutlicher hervortreten lässt. Dieser Gedanke leitet über auf jene Konzeption von Metaphern, auf die sich die Autorin des vorliegenden Textes vor allem bezieht: auf den kognitiv-linguistischen Ansatz von Lakoff und Johnson, in dem Metaphern - im psychologischen Sinn — als Schemata fungieren, die unser Wahrnehmen, Erinnern und Denken im Alltag und damit unsere Orientierung in der Welt strukturieren.
Dass und wie Metaphern-Analysen in der Psychotherapie-Forschung eine bedeutende und fruchtbare Rolle spielen können, zeigt z. B. das Buch von Buchholz (1996) über die Metaphern der „Kur". Das Thema, dessen sich die Autorin im vorliegenden Text annimmt, ist trotzdem heikel: nur allzu rasch wird sie sich wohl dem Vorwurf ausgesetzt sehen, dass Krebs eben Krebs bleibt, eine Krankheit, die in vielen Fällen eben zum Tod führt, egal, wie ich sie zu bezeichnen, mit welchen (Sprach-)Bildern ich sie versehen werde. So einfach ist die Sache aber nicht. Wenn wir uns die Welt - uns selbst und damit unsere Welt - über Metaphern erschließen, dann stecken Metaphern auch den Raum dafür ab, was uns an Empfinden, Fühlen und letztlich Handeln möglich sein wird. Es geht der Autorin nicht darum, Krankheit und Leid wegzureden, sondern den Patienten Möglichkeiten zu eröffnen, mit dieser nicht hintergehbaren Realität zu leben.
Frau Agstner ist eine sehr profunde Einführung in diesen Themenbereich gelungen. Und nicht nur das: Ganz nebenbei wird der/die Leserin auch noch mit einer kundigen Übersicht über das Denken der Gestalttheoretischen Schule beschenkt. Was zu Beginn des Buches komprimiert theoretisch erörtert wird, findet sich im empirischen Teil der Arbeit in sechs einfühlsam geschriebenen Fallgeschichten illustriert. Ich habe den vorliegenden Text mit großem Gewinn gelesen.
Gerhard Benetka
Literatur
Buchholz, Michael B., (1996). Metaphern der „Kur". Eine qualitative Studie zum psychotherapeutischen Prozess. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2003
Draaisma, Douwe, (1999). Die Metaphern-Maschine. Eine Geschichte des Gedächtnisses. Darmstadt: Primus-Verlag
Klemperer, Victor, (1957). LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig: Reclam, 1975
Whorf, Benjamin Lee, (1963). Sprache- Denken -Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie. Reinbek: Rowohlt
Zum Inhaltsverzeichnis des Buches